05 / 2022

Neubelebung durch Zwischennutzung

Neubelebung durch Zwischennutzung

Ohne Revolution keine Transformation – nachhaltige Entwicklung für Stadt und Land! Unter diesem Motto lief der zweite Teil des heuer Immobilien-Dilaogs in München am 23. Mai 2022. Mit dabei war auch Michael Ehret, Beirat von ehret+klein, der sich in der Immobilienbranche für eine Raum- und Innenstadtbelebung durch Zwischennutzung stark macht.

Im Interview mit Yvonne Traxel vom heuer dialog gewährt er Einblicke über die Strahlkraft von Zwischennutzungen. 

Heuer Dialog: Wie kann die Neubelebung von Quartieren und Innenstädten in der Metropolregion München gelingen?

Michael Ehret: Jede Quartiersentwicklung basiert auf einer verantwortungsvollen und intensiven Auseinandersetzung mit der Historie und den Begabungen eines Areals. Für diese Herangehensweise haben wir folgenden Satz geprägt: „Wir sollten zuerst die Soziologen fragen, dann die Architekten.“ Erst wenn wir zuhören und die Bedürfnisse eines Viertels, seiner Bewohner und Nutzer kennen, können wir dies in eine passende Architektur übersetzen und Orte des Verweilens und Zusammenkommens mit hoher Aufenthaltsqualität schaffen. Nur auf dieser Grundlage können Projekte mit hohem lokalen und sozialen Mehrwert entstehen.
Dies gilt nicht nur für Neubauprojekte, insbesondere auch für bereits bestehende und leerstehende Objekte, die auf eine Transformation warten. Die zu transformierenden Flächen füllen wir im Rahmen einer Zwischennutzung mit Leben und zeigen somit schon einmal vorab im Kleinen, Möglichkeiten und Ideen darüber auf, was später im Großen passieren kann. Vor allem Künstlerinnen und Künstler sind beliebte Zwischennutzer, da sie einen Freiraum oder ein Gebäude kreativ und nachhaltig prägen. Stadträume werden aktiviert und der Gesellschaft wieder zugänglich gemacht. Auf diese Weise wird eine Quartiersentwicklung behutsam in die DNA eines bestehenden Viertels und einer Stadt eingewoben.

Heuer Dialog: Warum ist die Zwischennutzung für viele Projektentwickler ein rotes Tuch?

Michael Ehret: Noch in den 90er Jahren wurden im Zuge von sozialen und rebellischen Bewegungen Hausbesetzungen praktiziert. Dieses Image hängt dem Begriff der Zwischennutzung leider noch nach. Eigentümer und Projektentwickler haben oftmals die Befürchtung, die temporären Nutzer blieben länger als erwartet. Wenn die Zwischenmieter ein Gebäude nach Beendigung des Vertrags nicht freiwillig verlassen, könnte sich dies rufschädigend auf den Eigentümer auswirken. Außerdem kann ein kreativer Umgang mit leerstehenden Flächen nur funktionieren, wenn öffentliche und private Akteure zusammenarbeiten. Dafür müssen die Rahmenbedingungen sowohl für die Eigentümer, als auch für die Träger der Zwischennutzung und der Stadtteilbevölkerung stimmen. Für Zwischennutzungen sind oftmals Nutzungsänderungen notwendig, deren Genehmigung länger dauern kann, als die Interimsnutzung an sich. Dies hält sicherlich einige Projektentwickler davon ab, Mühe und Zeit zu investieren.
Für uns haben sich aber Zwischennutzungen zu einer sinnstiftenden Möglichkeit im Umgang mit Brachflächen entwickelt.

Heuer Dialog: Inwiefern sollte die Bestandsentwicklung von Gebäuden stärker in den Fokus genommen werden als der Neubau?

Michael Ehret: Die Anforderungen an die Immobilienbranche, ihrer Verantwortung in Bezug auf ihren ökologischen und sozialen Einfluss gerecht zu werden, sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Der Immobiliensektor ist nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) für etwa ein Drittel aller weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Nicht nur in der Betriebsphase eines Gebäudes gibt es viele Energie-Einsparpotenziale, sondern bereits bei der Errichtung, Stichwort „Graue Energie“. Insofern sollte der Umbau anstelle eines Abrisses immer als erstes kritisch geprüft und wo möglich in Betracht gezogen werden. Erfreulicherweise rücken diese sogenannten Transformationsimmobilien verstärkt in den Fokus von Projekt- und Quartiersentwicklern.

Heuer Dialog: An welchen Standorten in der Metropolregion München sehen Sie das größte Potenzial für transformative Gestaltung?

Michael Ehret: Nahezu überall in der Metropolregion gibt es Transformationsimmobilien. Hinsichtlich einer nachhaltigeren Gestaltung bieten Bestandsobjekte in Städten natürlich unglaublich viel Potenzial. So planen wir aktuell ein Projekt im Südlichen Bahnhofsviertel in München, das aktiv die Verbesserung des Mikroklimas des Viertels unterstützen und neuen öffentlichen Raum mit hoher Aufenthaltsqualität schaffen wird. Zusätzlich stärkt es dessen Resilienz gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels, wie Hitze oder Starkregen, indem Konzepte zur Dach- und Fassadenbegrünung, Bepflanzung der Höfe sowie zur Gestaltung offener Wasserflächen miteingebunden werden. Wie eine Studie der TUM und LMU aufzeigt, ist dies im Südlichen Bahnhofsviertel von besonderer Relevanz, da hier verhältnismäßig wenig begrünte Flächen vorhanden sind und der gefühlte thermische Komfort insgesamt gering ist.
Bevor der Umbau beginnt, werden wir die Zeit des Planungs- und Genehmigungsverfahren mit einer kreativen Zwischennutzung überbrücken. Zusammen mit dem Stadtmagazinn MUCBOOK,  dem Künstlerkollektiv broke.today und Nachhaltigkeitspionieren FREIRAUM e. V. und GreenCity e. V. realisieren wir in der Schwanthalter Straße 57 erneut eine bunt gemixte Zwischennutzung mit Kunst, Kultur und Co-Working. Auf diese Weise werden die Innenhöfe zum ersten Mal der Öffentlichkeit überhaupt zugänglich gemacht und als Aufenthaltsraum bewusst aktiviert.

Das Interview erschien auch im heuer dialog-Blog.