09 / 2021

Das Comeback der Erdgeschosse

Ob Lebensmittelmarkt, Café, Friseur oder Kita – Erdgeschosse sind die Visitenkarten eines Quartiers und prägend für den Charakter und den Nutzwert einer Stadt. Sie stellen hohe Ansprüche an Stadtplaner und Immobilienprojektentwickler. 
Doch Entwicklungen wie Verschiebungen im stationären Einzelhandel, das Bedeutungswachstum von Gastronomie oder enorm steigende Grundstücks- und Baukosten lassen sich nicht immer vorhersehen. Und die Formel „Erdgeschoss = Handel“ gilt schon lange nicht mehr.

Wie schaffen wir eine erfolgreiche Transformation der Innenstädte?
Wir brauchen Handlungsansätze für Quartiersentwickler, Stadtplaner und Investoren. Darüber hinaus muss es zu einer Symbiose zwischen Immobilienwirtschaft und Stadtplanung kommen, damit wir Erdgeschosse als Visitenkarten der Quartiere entwickeln können. 
Dazu haben wir als Projektentwickler in Zusammenarbeit mit Analysten von bulwiengesa und mit zwei weiteren namhaften Projektentwicklungsunternehmen Hamburg Team und Interboden sowie der Bundesstiftung Baukultur eine erste Erdgeschoss-Studie „Erdgeschosse 4.0“ ins Leben gerufen, die sich dieser Thematik widmet. 
Mit der Studie wollten wir mehr Transparenz in die Prozesse bringen und das Verständnis für die Anforderungen der Beteiligten untereinander verbessern. Durch die Zusammenarbeit mit Interboden und dem Hamburg Team war es möglich, Erfahrungen bei Quartiersentwicklungen in unterschiedlichen Projekten und Regionen in Deutschland mit einzubringen. 

Wesentliche Ergebnisse der Studie:
Wir müssen uns mehr damit beschäftigen, für wen wir bauen. Wir bauen nicht für Investoren sondern für die Nutzer der Immobilien. Wir müssen weg von den Erkenntnissen der rein excel-basierten Innenstadtentwicklung hin zu einer nutzerorientierten Stadtentwicklung. Damit wir in Zukunft in der Lage sind resiliente Quartiere zu entwickeln, die auf die regionalen und lokalen Bedürfnisse zugeschnittenen sind. Lebendige Erdgeschossnutzungen sind die Visitenkarten der Quartiere! Die herkömmlichen Kriterien für eine erfolgreiche Vermietung Bonität, 5- bis 10- jährige Mietverträge etc. haben in vielen Bereichen ausgedient. Wir müssen darauf schauen, dass auch lokale Mieter in die Erdgeschosse kommen sowie Mieter die Saisongeschäfte machen mit kürzeren Mietverträgen, warum nicht auch der Handwerkerbetriebe die sich normalerweise im weiteren Umfeld niederlassen, weil die Mieten zu hoch sind. Die Mischung macht es! 
Die Erdgeschosse müssen kuratiert werden. Flächenzuschnitte müssen dafür multifunktional sein, damit der nächste Mieter mit kurzfristigem Mietvertrag die Fläche ohne teure Umbaumaßnahmen weiter nutzen kann. Jede Stadt ist anders, aber man kann eine „Werkzeugkiste“ erstellen, mit der man jeden Standort individuell konfigurieren kann.

Bestpractice: ehem. Kaufhof in Worms
Wir haben in der Wormser Innenstadt Galeria Kaufhof gekauft und nutzen das Gebäude momentan komplett um. Die Stärkung der Wormser Innenstadt ist uns dort ein zentrales Anliegen. Im Erdgeschoss vermieten wir nicht nur klassische Einzelhandelsflächen. Es gibt unter anderem einen Pop-up Store, der Kunstfreunde zum Lustwandeln einlädt. Ausstellungen, eine Galerie und auch die Schaufenster spielen eine große Rolle. Im hinteren Teil des Gebäudes ziehen Teile der Stadtverwaltung ein, obendrauf realisieren wir voraussichtlich Wohnungen. Co-Working Spaces und klassische Büros sind ebenfalls Teil des Konzeptes. Hier wagen wir mit einem bunten Mix Neues.
 

Michael Ehret, FRICS